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Privat oder staatlich - was schreckt mehr?

Über 200 Jahre ist der vor allem mit Karl Marx verbundene Gedanke der Vergesellschaftung der Produktion jetzt alt. 1795 entwickelte der Jakobiner Francois Babeuf in seinem „Manifest der Plebejer“ wohl als erster den Gedanken, dass Privateigentum soziale Ungleichheit zur Folge hat und das einzige Mittel zur vollständigen Gleichheit zu gelangen, darin bestehe, „eine gemeinsame Verwaltung einzurichten, das Privateigentum abzuschaffen und jeden Menschen in seiner Begabung und seinem Fleiß tätig werden zu lassen; alle Produzenten arbeiten für das gemeinsame Vorratslager; jeder von ihnen bringt dorthin das Produkt, wie es ist, und Verteilungsbeauftragte, die nicht auf eigene Rechnung, sondern für die große Familie arbeiten, lassen jedem Bürger seinen gleichen Anteil zukommen, der von der gesamten Gütererzeugung der ganzen Assoziation abhängt.“

Staatswirtschaft als Erlösung
Den Verteilungskommunismus Babeufs dehnte sein Zeitgenosse Saint Simon ein paar Jahre später auf die Sphäre der Produktion aus: „Die heutige Anarchie in der Produktion, die der Tatsache entspringt, dass sich die ökonomischen Beziehungen ohne einheitliche Regelung abwickeln, muss einer Organisation der Produktion weichen. Es werden nicht mehr isolierte Unternehmer sein, die unabhängig voneinander, ohne Kenntnis der ökonomischen Bedürfnisse des Menschen, die Produktionsgestaltung bewirken, sondern diese wird einer sozialen Institution zufallen. Eine zentrale Verwaltungsbehörde, die vom erhöhten Standpunkt aus das weite Gebiet der sozialen Ökonomie zu überblicken vermag, wird diese in einer der Gesamtheit dienlichen Weise regulieren und die Produktionsmittel den geeigneten Händen überweisen, namentlich wird sie für eine ständige Harmonie zwischen Produktion und Konsumtion sorgen.“Am Ende blieb es Lenin vorbehalten, sich als erster praktisch auf den Stuhl zu setzen, der „vom erhöhten Standpunkt aus das weite Gebiet der sozialen Ökonomie zu überblicken vermag“, und sein in „Staat und Revolution“ verkündetes Programm auch umzusetzen: „Unser nächstes Ziel ist es, die gesamte Volkswirtschaft nach dem Vorbild der Post zu organisieren...Alle Bürger verwandeln sich hier in entlohnte Angestellte des Staates.“Diese Sicht der Dinge entwickelte ein merkwürdig zwiespältiges Verhältnis zum privaten Monopolbetrieb. Einerseits wurden Marktmacht und monopolistische Extraprofite gerne gegeißelt. Andererseits konnte der Kapitalismus gar nicht monopolistisch genug sein. Je mehr monopolistische Strukturen die sozialistische Transformation vorfinden würde, umso leichter würde deren Umwandlung in ein staatliches Angebotsmonopol nach dem Vorbild der damaligen Post oder Eisenbahn sein. In dieser Vorstellung unterschieden sich Sozialdemokraten wie Rudolf Hilferding und Bolschewiken wie Lenin kaum. Allein die Frage, ob die wachsende Monopolisierung der Wirtschaft im Verein mit demokratischen Wahlen einen allmählichen und friedlichen Übergang zum Sozialismus ermögliche oder der gewaltsame revolutionäre Bruch unverändert nötig sei, führte zu unversöhnlichem Streit. Einigkeit bestand hingegen darin, dass nicht das Monopol als solches von Übel sei, sondern bloß seine private Eigentumsform. Als Instrument in der Hand des Staates war es allseits willkommen. Eigentlich kam es so oder so nur darauf an, den bestehenden Konzernen ihre private Eigentumsform zu nehmen und die letzten Reste an Konkurrenz zwischen ihnen zu beseitigen. Fertig war die Wirtschaft planmäßig gesteuerter Kombinate.

Mächtige Tradition
Wir wissen nicht, ob Karl Marx diese Gleichsetzung von vergesellschafteter Produktion und Staatswirtschaft geteilt hätte. Fest steht aber, dass der Hang zum Staatsbetrieb bei gleichzeitigem Misstrauen gegen den Wettbewerb bis heute alle linke Strömungen durchzieht. Und das obwohl die Staatswirtschaft all die Hoffnungen auf soziale Gleichheit und „Harmonie zwischen Produktion und Konsumtion“ bitter enttäuscht hat.Auch das zwiespältige Verhältnis zum Monopolunternehmen hat die Zeiten von Lenin und Hilferding überlebt. Die Kritik an Angebotsdiktatur und mangelnder Konsumentenfreiheit überlässt man auf der Linken gern den Liberalen. Kritik an der korporatistischen Produzentendiktatur zu Lasten der übrigen Bevölkerung hat in der Linken einen schweren Stand. Ist die Geschichte der Gewerkschaftsbewegung in Deutschland doch davon geprägt, den Belegschaften der Großkonzerne einen Teil der Monopolrendite in Form von Geld, Urlaub, und günstigen Arbeitsbedingungen zu sichern. Einzig die Kritik, dass die Macht privater Großkonzerne der Politik ihren Willen aufzwingen kann, ist auf der Linken wirklich verbreitet und populär. Und für diese Kritik gilt wie vor 100 Jahren, dass sie gegenstandslos wird, wenn der Großkonzern verstaatlicht und damit dem Willen der Politik unterworfen wird. Wie fiktiv dieses Kommando der Politik über ein Staatsmonopol zumeist ist, wird lieber nicht näher unter Lupe genommen. Im linken Diskurs geht es dem Staatsmonopol noch immer recht gut. Zwar hängt kaum noch jemand an der Idee, die Wirtschaft nach dem Muster der alten deutschen Post oder anderer öffentlicher Unternehmen zu organisieren. Fast niemand fordert noch offensiv die Verstaatlichung der Produktion, aber die Privatisierung bereits vorhandener Staatsunternehmen stößt auf prinzipiellen Widerspruch wie eh und je. 200 Jahre Geschichte lassen sich eben so leicht nicht wegwischen.

Linke ohne Zukunftskonzept
Unter diesen Umständen kann gesellschaftliche und politische Modernisierung nur heißen, aus den ideologischen Schützengräben einer untergegangenen Epoche heraus zu kommen. Traditionsbewusste Linke, die den Chor anstimmen, Staatsunternehmen seien per se demokratischer und sozialer als jede Marktwirtschaft sind sowenig auf der Höhe der Zeit wie verbohrte Neoliberale, die behaupten, Private könnten sowieso alles besser.Dem PDS-Politiker Peter Porsch ist zuzustimmen, wenn er im Neuen Deutschland unter dem Titel „Unbeantwortete Fragen für eine neue Linke“ schreibt: „Der schlichte Gegensatz zum Neoliberalen ergibt noch kein Konzept. Nur weil die einen alles privatisieren wollen, ist nicht jede Privatisierung verwerflich. Wir sollten vielmehr ganz einfach fragen: Wem nützt was? Und uns dann entscheiden, was dem sozialen Ausgleich dient, der Freiheit der Schwachen, deren Selbstbestimmung wir wollen.“In den Mittelpunkt der Überlegungen gehört dabei die so lange vernachlässigte Kritik des Angebotsmonopols mit seinen schädlichen Auswirkungen für die auf seine Leistungen angewiesenen Menschen.

Berliner Monopole I: BWB
Die vielgescholtenen Berliner Wasserbetriebe sind nur die Spitze des Eisbergs. Die Wasserversorgung der Bevölkerung stellt ein natürliches regionales Monopol dar, das sich nicht in den Wettbewerb stellen lässt.Diesen Umstand wusste sich die Berliner SPD gewissenlos zu Nutze zu machen. 1999 wollte die damalige Finanzsenatorin Fugmann-Heesing unbedingt als eiserne Sparlady in den Wahlkampf ziehen. Um mit der Meldung eines ausgeglichenen Haushalts Furore zu machen, musste sie das Loch von 1,8 Milliarden Euro in ihrem Haushalt 1998 schließen, Also bot sie 49,9 Prozent der Berliner Wasserbetriebe zu eben diesen 1,8 Milliarden Euro Kaufpreis am Markt an. Seitdem hat das Land Berlin mit Veolia und RWE einen Vertrag, der den privaten Investoren eine jährliche Rendite von 8 Prozent auf den Kaufpreis sichert. Für sie handelt es sich faktisch um ein festverzinsliches Papier. Weil das Land Berlin mit seinen 50,1 Prozent den gleichen Betrag kassieren will, muss die BWB einen jährlichen Gewinn von rund 290 Millionen Euro erwirtschaften. Da zugleich den Beschäftigten trotz erheblichem Personalüberhangs im sogenannten „Vertrag des himmlischen Friedens“ Kündigungsschutz bis 2015 zugesichert wurde, läuft die erforderliche Gewinnsteigerung fast ausschließlich über den Wasserpreis. Land, Investoren und Beschäftigte sind zufrieden. Die Zeche zahlen die Verbraucher, die dem Wassermonopol nicht ausweichen können. Den sozial Schwachen, die Herr Porsch von der PDS zu Recht in den Mittelpunkt rückt, dient das nicht. Angesichts der Tatsachen muss man es als Geschichtsklitterung bezeichnen, wenn das Elend der Wasserpreise auf die privaten Investoren zurückgeführt wird. Das Elend ist der Vertrag des Landes mit ihnen. Die Handelnden waren dabei eindeutig die Vertreter von SPD und CDU. Veolia und RWE fiel das festverzinsliche Wertpapier namens BWB-Beteiligung geradezu in den Schoß.

Berliner Monopole II: BSR
Anders als beim Wasser, könnte man bei Straßenreinigung und Müllentsorgung aus der monopolistischen Struktur heraus. Es ist aber nur Gewerbebetrieben erlaubt, sich den Entsorger auszusuchen. Private Haushalte unterliegen dem Benutzerzwang zugunsten der BSR. Vorhersehbares Resultat: Im gewerblichen Bereich macht die BSR Verlust. Am Hausmüll aber verdient sie genug, um unter dem Strich wie die Wasserbetriebe einen Gewinn von 8 Prozent auf das betriebsnotwendige Kapital auszuweisen.Gewinn in genau dieser Höhe muss die BSR erzielen, weil die Politik auch bei der Müllabfuhr den Verlockungen des Monopols nicht widerstehen konnte. Diesmal war es Finanzsenator Kurth von der CDU, der im Jahr 2000 besorgt auf seine klamme Haushaltskasse sah und dabei auf die Idee verfiel, sich alle Gewinne der BSR bis 2015 im Voraus ausbezahlen zu lassen. Die BSR zahlte auf einen Schlag 233 Millionen Euro und kaufte sich damit bis 2015 praktisch selbst.Seitdem steuert die Politik im Abfallsektor und bei der Straßenreinigung kaum noch etwas. Größere Gebührensenkungen, Öffnungen für den Wettbewerb und viele andere Maßnahmen sind schlicht nicht drin. Denn für den Fall, dass das Land die bis 2015 geltende Vereinbarung mit der sich selbst gehörenden BSR kündigen und ändern will, sieht der Vertrag vor, dass die Gewinnvorauszahlung an die BSR zurückgezahlt werden muss. Das kann der Berliner Pleitehaushalt natürlich nicht. Für die BSR gilt das Gleiche wie für die Wasserbetriebe: Der Senat ist zufrieden, die Geschäftsleitung der BSR ist zufrieden und die Belegschaft ist es auch. Bloß die Verbraucher, die dem Benutzerzwang unterliegen, gucken in die Röhre. Wieder gilt: Den sozial Schwachen, denen die staatliche Daseinsvorsorge angeblich zur Seite stehen soll, hilft man so nicht.

Berliner Monopole III: BVG
Es macht eben einfach keinen Sinn, dass ein Unternehmen positiv beurteilt wird, nur weil es öffentlich ist und es der Belegschaft gut geht. Nach diesem Maßstab wäre die BVG schon seit Jahrzehnten ein Musterbetrieb: Knapp 30 Prozent Personal zuviel; fast 20 Prozent höhere Löhne als bei einem anderen öffentlichen Nahverkehrsbetrieb in Deutschland; Ausschluss von Kündigungen; Bestandsgarantie des Unternehmens als Anstalt öffentlichen Rechts und Schutz vor Ausschreibungen bis 2020; und da die Fahrpreise nicht unbeschränkt in den Himmel wachsen können, gibt es jährlich rund 400 Millionen Euro Zuschuss aus der Landeskasse. So sieht ein öffentlich-rechtlicher Musterbetrieb aus.Jetzt sinkt der Zuschuss, weil der Haushalt aus dem letzten Loch pfeift und die EU ein waches Auge auf die staatlichen Beihilfen hat. Weiter sinkende Zuschüsse lassen sich aber angesichts des rundum geschützten Unternehmens nur noch durch höhere Fahrpreise und Ausdünnung des Angebots kompensieren. Und so wird es kommen, denn der alternative Weg über die Trennung von Infrastruktur und Betrieb und anschließende Ausschreibung des Betriebs in Teillosen ist durch die Tarif- und Anwendungsverträge versperrt.

Mehr Wettbewerb!
Wohin man schaut: Die versprochenen Segnungen des Staatseigentums an Monopolunternehmen der Daseinsvorsorge sind graue Theorie. Eigentlich sollen die öffentlichen Unternehmen einen sozialen Zweck erfüllen, indem sie gute Leistungen zu niedrigen Preisen anbieten. Das ist ein sehr hoher Anspruch. Denn ein besonders günstiges Preis-Leistungs-Verhältnis verlangt, besonders effizient zu arbeiten. Praktisch ist aber bei fast allen öffentlichen Unternehmen das Gegenteil der Fall. Die Verlockung ist einfach zu groß, sich auf der Monopolstellung auszuruhen, die Selbstbedienungsmentalität zu pflegen und die Kosten auf die Konsumenten abzuwälzen.Was für die Unternehmen gilt, gilt leider auch für die Politik. Regierungen in finanziellen Schwierigkeiten geben regelmäßig der Versuchung nach, sich aus der Monopolrendite der eigenen Unternehmen zu bedienen und sie dafür zur Not noch zu steigern. Die soziale Steuerungsfähigkeit der Politik erweist sich nicht nur aus diesem Grund als Legende. Obendrein trägt die Politik von der Abfall- bis zur Verkehrsplanung auf zwei Schultern. Als Fachpolitik würde sie gern die optimale Versorgung der Bürger herausholen. Als Eigentümer aber sieht sie darauf, vor allem die Bedürfnisse der eigenen Unternehmen zu befriedigen. Identisch sind die Bedürfnisse der Unternehmen und der Bürger fast nie und meistens setzen sich aus finanzpolitischen Gründen am Ende die Unternehmensinteressen durch.Das einzig wirksame Mittel dagegen ist, die staatlichen Monopole zu knacken, wo immer das möglich ist. Nur das private Monopol ist eine noch schlechtere Lösung. Der Wettbewerb hält aber bessere bereit. Bis auf die Wasserversorgung ist es in allen anderen Bereichen der staatlichen Unternehmenstätigkeit prinzipiell möglich, die Leistungen der Daseinsvorsorge über zeitlich befristete Ausschreibungen im Wettbewerb zu erbringen. Ob, wann und mit welchem Modell man diesen Weg dann tatsächlich beschreitet, ist eine pragmatisch zu entscheidende Frage, die der großen ideologischen Schlachten nicht mehr bedarf. Wer reformbereit genug ist, um sich von alten Mythen zu verabschieden, wird am Ende erkennen, dass das Ende der staatlichen Monopolwirtschaft „dem sozialen Ausgleich dient“ und nicht schadet.

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