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Haushaltspolitik nach dem Crash von Karlsruhe

 Vor der Wahl waren wir Grünen optimistisch. Wir erwarteten, dass sich die Wirtschaft nach 5 Jahren Stagnation endlich erholt und in der Folge dem Berliner Landehaushalt bis zum Ende der Legislaturperiode 2011 zusätzliche Steuereinnahmen von bis zu 2,5 Milliarden Euro zur Verfügung stehen würden. Dieser Optimismus war berechtigt. Die Steuerquellen sprudeln tatsächlich wie vorhergesehen (Siehe Tabelle).

Eine andere Rechnung ist allerdings nicht aufgegangen. Auch wir hatten darauf vertraut, dass Berlin eine Entschuldungshilfe des Bundes zugesprochen würde, die den Landeshaushalt um rund 1 Milliarde Euro Zinszahlungen entlastet, weil Berlin alle Kriterien einer extremen Haushaltsnotlage erfüllt, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Grundsatzurteil von 1992 aufgestellt hatte.

Das Bundesverfassungsgericht hat aber in seinem Urteil die bislang geltenden Kriterien für eine extreme Haushaltsnotlage verschärft und jeden Anspruch Berlins auf Entschuldungshilfe abgelehnt. Es sei „dem Berliner Senat nicht gelungen, die Alternativlosigkeit von Sanierungshilfen plausibel zu begründen“, schreibt das Gericht. Er habe „insbesondere nicht dargelegt, dass die Berliner Haushaltswirtschaft keine ausreichenden Konsolidierungspotentiale mehr enthält“. Berlin sei vielleicht deshalb so sexy, weil es ganz so arm dann doch nicht sei. Jeder Satz eine schallende Ohrfeige für SPD, PDS und Klaus Wowereit, die sich vor Gericht fatalerweise geweigert hatten, auch nur eine einzige Sparmaßnahme für die Zukunft zu benennen. Stattdessen kam die Äußerung, man werde jede Auflage des Gerichts erfüllen. Dann sei aber auch klar, wer die Verantwortung trägt. Dass so etwas bei den Richtern nicht gut ankommt, kann sich eigentlich jeder halbwegs denkfähige Mensch ausrechnen.

Vom Abbau des Solidarpakts Ost

Dennoch war es nicht die feine englische Art, dass das Gericht die Kriterien für eine extreme Haushaltsnotlage ohne nähere Begründung so verändert hat, dass es den Berliner Anspruch ablehnen konnte. 1992 hatte das Gericht in seinem Urteil zur extremen Haushaltsnotlage Bremens und des Saarlandes als zentrales Kriterium für eine Schuldenfalle noch auf die Zins-Steuer-Quote des Haushalts abgehoben. Setzt man Berlins Zinsbelastung ins Verhältnis zu den Steuereinnahmen inklusive Länderfinanzausgleich, hätte nach dem Maßstab von 1992 auch Berlin eine Entschuldungshilfe zugestanden.

Das Verfassungsgericht verschärfte aber den Maßstab, indem es zu den Einnahmen aus Steuern und Finanzausgleich auch die Zuweisungen aus dem Solidarpakt Ost in Höhe von rund 2 Milliarden Euro hinzurechnete. Das Gericht nannte die so gebildete Kennzahl „Zins-Steuer-Quote 2“, und –schwupps! – hatte Berlin das zentrale Kriterium einer extremen Haushaltsnotlage verfehlt. 

Faktisch läuft die neue Definition des Gerichts auf eine Zins-Einnahme-Quote als Maßstab hinaus. Das kann man so machen. Man dürfte dann aber nicht nur stichtagsbezogen auf die Situation des Jahres 2003 hin argumentieren, sondern müsste auch die Zukunftsentwicklung im Auge haben. Das Problem mit den Solidarpaktmittel ist nämlich, dass sie sich laut Vereinbarung von Bund und Ländern bis 2015 halbieren und 2020 gänzlich entfallen. Während auf diese Weise 2 Milliarden Euro an Einnahmen  verschwinden, steigen die Zinsen ohne neue Sparmaßnahmen bis 2020 je nach Zinssatz auf 3,5 bis 4 Milliarden Euro an. Der Schuldenberg könnte im übelsten Fall die 80 Milliarden Euro erreichen. Mit anderen Worten. Die vom Gericht als derzeit ausreichend angesehene Zins-Einnahme-Relation verschlechtert sich in den nächsten 15 Jahren drastisch.

Absurde Koalitionsvereinbarung 

Damit ist das Kardinalproblem benannt, dass der Berliner Haushalt jetzt hat. Wer am Ziel einer generationengerechten Haushaltspolitik festhält, kann nicht einfach zusehen, wie sich ein immer größerer Teil der Einnahmen für die Lasten der Vergangenheit drauf geht. Wie die vielen jungen Abgeordneten, die neu sind in unserer Fraktion, in den nächsten beiden Legislaturperioden Politik machen sollen, wenn man die Dinge einfach laufen lässt, ist mir ein Rätsel.

Die Dinge laufen lassen, genau das haben aber SPD und PDS offenbar vor. Als Anhang ist der Koalitionsvereinbarung ein Zahlentableau beigefügt, das die Ausgaben bis 2015 um 1,7 Milliarden Euro steigen lässt (Hier in Kurzform abgedruckt).

1,3 Milliarden dieser Ausgabensteigerung sollen durch einigermaßen optimistische Einnahmeerwartungen kompensiert werden. Hinzu kommen 700 Millionen Euro, die auf der Ausgabenseite eingespart werden sollen, ohne dass uns der Koalitionsvertrag den geringsten Hinweis gibt, wo und auf welche Weise das geschehen soll. Unter dem Strich soll dadurch die Neuverschuldung von 2010 bis 2015 auf exakt 900 Millionen Euro begrenzt werden. Eine gegriffene Zahl, deren Sinn nicht weiter erklärt wird.

Offenbar sieht sich vor allem die PDS bei Ver.di im Wort, die Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst 2009 um 10 Prozent zu erhöhen. Das macht rund 360 Millionen Euro aus. Zusätzlich enthält das Zahlentableau eine exorbitante Steigerung der konsumtiven Ausgaben in Höhe von fast 1 Milliarde Euro, über deren Ursache die Koalitionsvereinbarung keinerlei Aufschluss gibt. 

Absurderweise wird diese Absicht zu Mehrausgaben dann wieder dementiert, indem ein Konsolidierungsbedarf von 700 Millionen dagegen gesetzt wird, der seinerseits nicht aufgelöst wird. Das ist ein geradezu aberwitziger Kompromiss zwischen „Geld ausgeben wollen“ und „Sparen müssen“. Die Koalitionsvereinbarung von SPD und PDS entpuppt sich als Dokument einer doppelten Unfähigkeit. Erstens fehlen beiden Parteien der Mut und die Ideen für erforderliche Maßnahmen. Und zweitens sind sie unfähig sich zu einigen, weil insbesondere die PDS ihrer Klientel keine einzige weitere Sparmaßnahme zumuten will. 

400 Millionen Euro zusätzlich sparen!

Die Frage ist, ob wir die guten Ideen und den notwendigen Mut haben. Wenn wir die Zins-Einnahmequote einigermaßen konstant halten wollen, entsteht je nach Zinssatzentwicklung bis 2015 ein zusätzlicher Konsolidierungsbedarf von 400 bis 500 Millionen Euro. Begonnen werden müsste mit dem Sparen bereits ab 2008. Denn je früher man auf die Bremse tritt, desto stärker wird der Zinsanstieg gebremst. Wir sollten versuchen, mindestens die Hälfte des zusätzlichen Sparbedarfs noch in dieser Legislaturperiode zu realisieren. Dann würde sich die Situation für die nächste Generationen wenigstens nicht verschlimmern. 

SPD und PDS haben für diese Legislaturperiode aber nur ein Sparvolumen von 200 Millionen Euro vereinbart. Die restlichen 500 Millionen haben sie nach dem Motto „Nach uns die Sintflut“ in die nächste Legislaturperiode verschoben. Dagegen werden wir Front machen müssen. Die Vorschläge, die die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Rahmen eines Grundsatzbeschlusses einstimmig beschlossen hat, bieten dafür eine erste Grundlage (siehe Kasten). 

Was wird aus den grünen Wahlversprechen?

Nun hatten Bündnis 90/Die Grünen im Wahlkampf versprochen, nur 80 Prozent der erwarteten Mehreinnahmen in die Sanierung des Haushalts stecken. Die restlichen 20 Prozent sollten in Bildung und Infrastruktur investiert werden, um unsere Kitas, Schulen und Universitäten leistungsfähiger zu machen und dem Verfall der öffentlichen Infrastruktur Berlins ein Ende zu setzen. Dieses Programm ist nach der Niederlage in Karlsruhe trotz der steigenden Einnahmen nicht mehr in der versprochenen Weise umsetzbar. 

Zugleich haben uns aber die Sparvorschläge des Bundesverfassungsgerichts in der Grundaussage unseres Wahlprogramms bestärkt, dass zuvörderst die Bildungschancen der Kinder und Jugendlichen gewahrt werden müssen. Das Verfassungsgericht sieht die großen Sparpotentiale in den Bereichen Wohnungsbauförderung, Landesunternehmen, soziale Sicherung, Polizei und Justiz sowie kulturelle Angelegenheiten (in dieser Reihenfolge). Es weist zudem ausdrücklich auf den Bereich „Sport und Erholung“ hin, fordert die Anhebung der Gewerbesteuer und die vorbehaltlose Prüfung von Vermögensverkäufen, insbesondere im gegenüber Hamburg doppelt so großen öffentlichen Wohnungsbestand.

Da ist nicht nur Platz für Konsolidierungsmaßnahmen, sondern auch noch für die ein oder andere Umverteilung. SPD und PDS können sich nicht auf das Karlsruher Urteil berufen, wenn sie die Gewerbesteuer nicht erhöhen, die Personal- und Verwaltungskosten wieder steigern und auf Steuerhilfen für die Landesunternehmen nicht verzichten wollen. Im Gegenteil. Das Gericht hat sie zu entsprechenden Maßnahmen aufgerufen. 

Wenn es mit Kitas, Schulen und Universitäten weiter abwärts geht, liegt es das nicht am Geldmangel oder am Bundesverfassungsgericht sondern allein an der phantasielosen Koalition der Wahlverlierer, die sich Klaus Wowereit gerade zusammen gezimmert hat. Das Karlsruher Urteil ist ein kräftiger Dämpfer für frühere Hoffnungen aber nicht das Ende einer generationengerechten und zukunftorientierten Politik.

Vorschläge von Bündnis 90/Die Grünen

Die Vergleichsdaten mit Hamburg umfassen im Urteil des Bundesverfassungsgerichts lediglich den Zeitraum bis zum Jahr 2003. Seitdem wurden weitere Konsolidierungsschritte eingeleitet, insbesondere im Bereich der Wohnungsbauförderung. Dies berücksichtigend schlagen wir folgende Maßnahmen vor: 

  1. Die Einnahmeseite kann um rund 150 Mio Euro jährlich verbessert werden (Erhöhung der Gewerbesteuer, Getränkesteuer, Tourismusabgabe u.ä.).
  2. Der Solidarpakt ist fortzuschreiben. Gleichzeitig sind die dort geltenden Absenkungen von Arbeitszeit und Gehalt auf den Beamtenbereich zu übertragen. Dies bringt rechnerisch eine Absenkung der Personalkosten um rund 400 Mio. Euro. Real werden davon rund 150 Mio. Euro verbleiben, da in vielen Bereichen (z.B. Lehrer, Justizvollzug etc). entsprechender Personalausgleich geleistet werden muss.
  3. Im Bereich der Inneren Sicherheit sind über die Kürzungen durch die Arbeitszeitverkürzung hinaus rund 50 Mio. Euro einzusparen.
  4. Weitere Änderungen im Beamtenrecht (z.B. Anpassung Beihilfe an die GKV, Einstiegsbesoldung etc.) schlagen mit 50 Mio. Euro Einsparung zu Buche.
  5. Die 100%ige Übertragung der Kindertagesstätten in freie Trägerschaft bringt eine weitere Einsparung von rund 50 Mio. Euro.
  6. Entgeltfinanzierte Leistungen sind auf den jeweiligen Durchschnittssatz der entsprechenden Fallgruppe zu begrenzen. Die konsequente Überprüfung der bestehenden Verträge mit den Anbietern wird ca. 25 Mio. Euro Einsparung erbringen.
  7. Durch die Vermögensveräußerungen, die in unserem Wahlprogramm angesprochen sind, ist eine Zinsentlastung von mind. 80 Mio. Euro jährlich zu erreichen.
  8. Die energetische Sanierung des Gebäudebestandes sowie weitere Einsparung in der Verwaltung und Bewirtschaftung (z.B. IuK)  können 50 Mio. Einsparung erbringen.

Damit können wir Vorschläge im Volumen von rund 600 Mio. Euro unterbreiten. Die HaushälterInnen werden beauftragt, dies in Zusammenarbeit mit den zuständigen Fachabgeordneten innerhalb der nächsten 14 Tage zu konkretisieren.

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